Die kleine, alte, quietschende Naumburger Straßenbahn ist digital. Wer hätte das vor 10 Jahren gedacht?

Andreas Plehn, Geschäftsführer der Naumburger Straßenbahn: „Mobilität ist heute überwiegend digital: Wir schauen im Smartphone nach aktuellen Verbindungen, nach der Pünktlichkeit und nach Störungen und deren Beseitigung, wir legen Wert darauf, möglichst noch auf dem Weg zur Haltestelle oder zum Bahnhof schnell ein Ticket für die ganze Reise buchen zu können. Wenn wir mit der Straßenbahn bei den digitalen Reiseketten wirklich vorkommen wollen, dann müssen wir selbst digital werden. Egal, ob für die internationalen Welterbe-Spezialisten, für die Naumburgerinnen und Naumburger oder für Wochenend-Ausflügler der Region.“

Und so hat sich die kleine Straßenbahn GmbH in das Abenteuer der Digitalisierung gestürzt. Noch läuft nicht alles nach Wunsch, es braucht Zeit und eine Menge Geduld, bis die Komponenten miteinander problemlos funktionieren. Der erforderlichen Ruhe und Hartnäckigkeit eines unserer Mitarbeiter ist es zu verdanken, dass wir mit learning by doing schon weit gekommen sind.

Und das heißt Digitalisierung bei der Naumburger Straßenbahn konkret:

1. Mit der automatischen Standort-Verfolgung der Straßenbahn können wir in Echtzeit die Pünktlichkeit auf Anzeigen an Haltestellen, im Fahrzeug oder auf dem Smartphone angeben. Über die Betriebsleitstelle sind wir noch viel früher als bisher in der Lage, anlaufende Verspätungen zu erkennen, für die eine Lösung gefunden werden muss.  Fahrgäste können so schnell Informationen zu Verspätungen, Ausfällen und Alternativen erhalten. Ein erstes, für die Fahrgäste sichtbares Zeichen, ist die Aufstellung von digitalen Abfahrtsanzeigen am Curt-Becker-Platz und am Hauptbahnhof. Dort wird ein System in Sachsen-Anhalt erstmals angewandt, das unabhängig von einem teuren kabelabhängigen Stromanschluss mit Batteriebetrieb arbeitet. Die Firma Axentia aus Schweden und der deutsche Hersteller von Haltestellen-Mobiliar MABEG präsentieren hier ein Gemeinschaftsprodukt, das z.B. in Dresden schon erfolgreich läuft und auch im Design besticht.

2. Dem elektronischen Ticket gehört die Zukunft, auch wenn es gerade in Naumburg noch lange einen Fahrschein mit dem Loch der Schaffnerzange geben wird. Die Smartphones, die die Fahrerinnen und Fahrer mit sich führen, können bereits die Chipkarten des MDV prüfen. Ein nächster Schritt ist das HandyTicket, das die Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA) vorbereitet. Ob später noch der Verkauf von verbundweiten Papier-Tickets erfolgt, hängt von der allgemeinen Entwicklung ab. Fahrkarten-Automaten in den größeren Städten werden immer seltener genutzt.

3. Die Bevorrechtigung der Straßenbahn im Straßenverkehr erfolgt heute eigentlich ohne mechanische Kontakte an der Fahrleitung, sondern per Datentelegramm an die Steuerung der Lichtsignalanlage einer Verkehrskreuzung. Und wenn die Straßenbahn in Naumburg einen Ringschluss erfährt, sind Weichen zu stellen, die Fahrt im Gegenverkehr der eingleisigen Strecke zu regeln. Alles digital.

4. Ein wichtiges Thema stand im ersten Halbjahr auf der Tagesordnung. Im Rahmen eines bundesweiten Projekts sollte eine Assistenz-App für Seh- und Orientierungsbehinderte entwickelt werden. Die Naumburger Straßenbahn gehörte zu den Piloten für Sachsen-Anhalt. Dank Digitalisierung mehr Lebensqualität für Menschen, die es im Alltag schwer haben: Was sollte ich beim Einsteigen wissen, gibt es eine zusätzliche Stufe im Wagen, wann sollte ich aufstehen, um in Ruhe den Ausstieg zu finden? Wie fügt sich die Straßenbahn-Fahrt in die digitale Begleitung während des ganzen Weges ein? Wie bekommt man diese faszinierende Technik in einer historischen Straßenbahn unter? Andreas Plehn: „Ein Lernprozess, der zwar vorzeitig ein Ende fand, weil sich der Auftragnehmer wirtschaftlich verkalkuliert hatte, aber für die Naumburger Straßenbahn ein Erfahrungsschatz, auf dem wir eines Tages wieder aufsetzen können. Wir haben viele Fahrgäste, die sich über eine Unterstützung freuen würden und Naumburg mit dem Kurbetrieb in Bad Kösen könnte hier eine besondere Vorreiter-Rolle spielen.

5. Ein Blick in die Zukunft: Wenn die S-Bahn Mitteldeutschland bis Naumburg verlängert wird, ist die Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs noch wichtiger. Früh morgens und spät abends lohnt sich der Straßenbahnverkehr nicht. On Demand Verkehre sind in aller Munde: Per Smartphone wird eine Fahrt im Pkw oder Kleinbus bestellt und nach kurzer Wartezeit wird man zum Straßenbahn-Tarif ans Ziel gebracht.

Ohne großzügige Unterstützung ging es bisher nicht. Die Naumburger Straßenbahn GmbH wäre aus eigenen Mitteln nicht in der Lage, in die Digitalisierung einzusteigen. Dank der unkomplizierten, sehr engagierten fachlichen Unterstützung der NASA und der Sponsoren

• Michael und Petra Sboralski-Stiftung
• Technische Werke Naumburg GmbH
• ProZero Energy Zorbau GmbH

konnten Investitionen im Wertumfang von 25.000 € finanziert werden. Dafür der herzliche Dank der Naumburger Straßenbahn GmbH und sicher auch bald vieler Fahrgäste. Und für die Zeit der Kinderkrankheiten der neuen Echtzeit-Anzeige an den Haltestellen und auf den Informationsportalen bitten wir um Geduld und Nachsicht!